Handelt es sich um dicht überbautes Gebiet?
Nachdem geprüft wurde, ob der Gewässerraum asymmetrisch angeordnet werden kann, klären Sie, ob sich der Gewässerabschnitt in dicht überbautem Gebiet befindet. Wenn dies nicht der Fall ist, ist keine Reduktion möglich, und es gilt der in Schritt 2 oder 3, allenfalls asymmetrisch gemäss Schritt 4, bestimmte Gewässerraum.
Bei eingedolten Fliessgewässern, WR-Kanälen (offen und eingedolt), WR-Weihern sowie stehenden Gewässern < 0,5 ha ist eine Reduktion fallweise auch möglich, wenn sich das Gewässer nicht im dicht überbauten Gebiet befindet.
Sofern in Schritt 3 aufgrund eines Revitalisierungspotenzials oder aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes ohne weiteren Nachweis auf den Gewässerraum nach Biodiversitätskurve erhöht wurde, ist eine Reduktion in Schritt 4 bis auf den nachweislich zu ermittelnden, mindestens erforderlichen Raumbedarf zur Umsetzung von Revitalisierungsmassnahmen resp. zur Erfüllung der Anforderungen an den Natur- und Landschaftsschutz (vgl. Schritt 3) zulässig. Die Breite gemäss Art. 41a Abs. 2 GSchV (Hochwasserschutzkurve) darf dabei in der Regel nicht unterschritten werden.
Nachweis
Für den Nachweis, ob es sich um dicht bebautes Gebiet handelt, müssen die Gerichtspraxis sowie die Indizien aus der Verwaltungspraxis des Kantons Zürich (abgeleitet aus der Rechtsprechung/Rechtspraxis) bezüglich «dicht überbaut» berücksichtigt werden:
Grundsätze
- Der Begriff des dicht überbauten Gebiets stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff des Bundesrechts dar, den es nach einheitlichen Massstäben zu konkretisieren gilt. Dieser Begriff ist restriktiv auszulegen (Bundesgerichtsentscheid Dagmarsellen (BGE 140 II 428)). Der Anstoss zu dieser Regelung ging von den Kantonen aus, um zu verhindern, dass städtische Quartiere oder die Städte und Dörfer entlang grosser Gewässer neu in den Gewässerraum fallen. Ermöglicht werden sollen eine Siedlungsentwicklung nach innen und eine aus Sicht der Raumplanung erwünschte städtebauliche Verdichtung, z.B. durch das Füllen von Baulücken. Ob ein dicht überbautes Gebiet vorliegt, zeigt eine Prüfung im Einzelfall (Bundesgerichtsentscheid Dagmarsellen (BGE 140 II 428)).
- Eine «weitgehende» Überbauung gemäss Art. 36 Abs. 3 RPG ist für die Definition von «dicht überbaut» nicht ausreichend.
- Der Betrachtungsperimeter darf nicht zu eng gefasst werden, da eine sachgerechte Planung einen genügend gross gewählten Perimeter voraussetzt (Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon I (BGE 139 II 470), Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon II (BGE 140 II 437)). Planungsperimeter ist – zumindest in kleineren Gemeinden – in der Regel das Gemeindegebiet (Bundesgerichtsentscheid Dagmarsellen (BGE 140 II 428)). Ansonsten muss sich der zu wählende Perimeter logisch abgrenzen lassen (Strassengeviert, Topographie, Bebauungsmuster). In Seegemeinden etwa erscheint es richtig, den Fokus auch auf das Gebiet landseitig der Seestrasse zu legen (Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon I (BGE 139 II 470), Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon II (BGE 140 II 437)).
- Massgebend ist das Land entlang der Gewässer und nicht das Siedlungs- und Baugebiet als Ganzes (Bundesgerichtsentscheid Dagmarsellen (BGE 140 II 428), Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon I (BGE 139 II 470), Bundesgerichtsentscheid Rüschlikon II (BGE 140 II 437), verdeutlicht in Bundesgerichtsentscheid Oberrüti (BGer_1C_444_2015)). Allerdings muss immer auch beachtet werden, wo sich der zu untersuchende Abschnitt entlang eines Gewässers innerhalb der gesamten Siedlungsstruktur befindet. Liegt der Abschnitt peripher, d.h. am Rand des Siedlungsgebiets, spricht dies gegen das Vorliegen eines dicht überbauten Gebiets. Liegt der zu untersuchende Abschnitt hingegen im Hauptsiedlungsgebiet der betroffenen Gemeinde, d.h. in ihrem geographischen oder planerischen Zentrum oder in Entwicklungsschwerpunkten, so spricht dies für das Vorliegen eines dicht überbauten Gebiets.
- Für die Qualifikation als «dicht überbaut» genügt es nicht, wenn ein Fliessgewässer oder Seeufer verbaut ist und die Aufwertungsmöglichkeiten im fraglichen Abschnitt beschränkt sind. Der Gewässerraum soll den Raumbedarf des Gewässers langfristig sichern und ist unabhängig vom Bestehen konkreter Revitalisierungs- und Hochwasserschutzprojekte auszuscheiden resp. freizuhalten.
Folgenden Indizien geben Hinweise, ob ein Grundstück/Gebiet als «dicht überbaut» qualifiziert werden kann:
- Das zur Bebauung geplante Grundstück/Gebiet befindet sich im Hauptsiedlungsgebiet der betroffenen Gemeinde.
- Das zur Bebauung geplante Grundstück ist nicht durch landwirtschaftliche Nutzflächen vom Hauptsiedlungsgebiet abgegrenzt.
- Das zur Bebauung geplante Grundstück bildet eine Baulücke.
- Das zur Bebauung geplante Grundstück/Gebiet ist für eine bauliche Verdichtung prädestiniert oder entspricht einer planerisch erwünschten Siedlungsentwicklung.
- Das zur Bebauung geplante Grundstück/Gebiet liegt in einer Zone mit hoher Ausnützung.
- Das zur Bebauung geplante Gebiet ist bereits weitgehend mit Bauten und Anlagen überstellt.
- Die Grundstücke in der Umgebung sind baulich weitgehend ausgenützt.
- Das Vorhaben tangiert keine bedeutenden, siedlungsinternen Grünräume.
- Es sind keine grösstenteils naturbelassene Ufervegetation bzw. grosse Grünflächen entlang des Ufers vorzufinden.
- Bauten und Anlagen grenzen direkt ans Ufer.
Entscheidungsgrundlagen
Es gibt zurzeit keine abschliessende Definition von «dicht überbautem» Gebiet. Die nachfolgenden Grundlagen können aber zur Entscheidung konsultiert werden.
- Raumordnungskonzept Kanton Zürich gemäss Richtplantext, Kapitel 1
- Kantonaler Richtplan
- Regionaler Richtplan
- falls vorhanden: Kommunaler Richtplan (Bezug bei der Gemeinde)
- Regionale Raumordnungskonzepte (Bezug beim entsprechenden Planungsverband im Kanton Zürich oder über den GIS-Browser)
- Nutzungsplanung Gemeinden (Bezug bei der Gemeinde oder im ÖREB-Kataster)
- Gerichtsentscheide (Bundesgericht, Verwaltungsgericht, Baurekursgericht) und konkrete Ergebnisse der Urteile
Ist eine Reduktion aus Sicht Hochwasserschutz möglich?
Falls sich der Gewässerabschnitt in dicht überbautem Gebiet befindet, prüfen Sie als nächstes, ob der Hochwasserschutz im angestrebten reduzierten Gewässerraum gewährleistet ist.
Dazu klären Sie zuerst, ob aufgrund einer Gefahrenkarte oder einer punktuellen Gefahrenabklärung eine Hochwassergefährdung vorhanden ist.
Nachweis ohne Hochwassergefährdung
Für eine Reduktion muss nachgewiesen werden, dass im reduzierten Gewässerraum ein HQ100/HQ300 inkl. Freibord abgeleitet werden kann. Eine bestehende Mauersituation darf berücksichtigt werden (vgl. Grafik). Zum Gewässerraum zugehörend ist dabei ein beidseitiger Unterhaltsstreifen von 3 Metern. Ist das Freibord ungenügend, ist eine Querprofilbetrachtung gemäss Schritt 3 «Hochwasserschutz» vorzunehmen.
Nachweis bei Hochwassergefährdung
Bei einer vorhandenen Hochwassergefährdung ist der Gewässerraum grundsätzlich mindestens auf die Breite gemäss Hochwasserschutzkurve (Berechnung gemäss Art. 41a Abs. 2 GSchV) auszuscheiden, es sei denn, aus der Querprofilbetrachtung in Schritt 3 («Hochwasserschutz») resultiert ein höherer Raumbedarf als die Breite gemäss Hochwasserschutzkurve. In diesem Fall ist mindestens der ermittelte Raumbedarf gemäss Schritt 3 («Hochwasserschutz») auszuscheiden.
Eine Reduktion des Gewässerraums unter die Breite gemäss Hochwasserschutzkurve ist in der Regel nur möglich, wenn ein Wasserbauprojekt auf Stufe Vorprojekt vorliegt, welches nachweist, dass die Durchleitung eines HQ100 plus Freibord resp. eines HQ300 plus Freibord dank baulichen Hochwasserschutzmassnahmen (inkl. Berücksichtigung Gewässerunterhalt) im reduzierten Gewässerraum sichergestellt ist.
Entscheidungsgrundlagen
- Gefahrenkarte Hochwasser
- Intensitätskarten (bei Gefahrenkarten vor 2006)
- Wassertiefenkarten
- Schwachstellenkarte (Bezug bei Gemeinde oder hier)
- Technischer Bericht zur Gefahrenkarte Hochwasser
- Risikokarte Kanton Zürich
- falls vorhanden: Information zu Querprofilen
- falls vorhanden: Information zu Längsprofilen
- falls vorhanden: kantonale Untersuchungen Hydrologie zur Gefahrenkarte mit Information zu Abflusswerten HQ100/HQ300 (Bezug beim Ingenieurbüro, das die Gefahrenkarte erstellt hat oder Informationen von hier)
- Vorgaben aus rechtlich und finanziell gesichertem Hochwasserschutzprojekt
Weitere Hilfsmittel
Sind die Voraussetzungen für eine Reduktion gegeben (Interessenabwägung)?
Wenn aus Sicht des Hochwasserschutzes eine Reduktion des Gewässerraums möglich ist, führen Sie als letzten Schritt eine Interessenabwägung zu den Themen «Siedlung», «Ökologie», «Gewässernutzung» und «Weitere Interessen» durch. Die jeweiligen Interessen sind dabei umfassend zu ermitteln, zu beurteilen und zu optimieren bzw. zu gewichten. Varianten und Alternativen müssen geprüft werden. Vorgaben und Beurteilungen aus allfällig vorliegenden (Hochwasserschutz-) Projekten sind zu berücksichtigen. Als Ergebnis der umfassenden Interessenabwägung wird beurteilt, ob eine Reduktion des Gewässerraums tragbar ist, wie gross der Gewässerraum mindestens sein muss, ob er allenfalls reduziert und asymmetrisch angeordnet werden kann, oder ob der minimale Gewässerraum ausgeschieden werden muss.
Nachweis
Für den Nachweis müssen folgende Kriterien geprüft werden:
Siedlungsthemen
Ortsplanerische und städtebauliche Aspekte
- Entwicklungsvorstellungen aus bestehenden Planungen
- Berücksichtigung von Anforderungen von Gebieten, welche an dicht überbaute Gebiete angrenzen und Abstimmung der Übergänge zwischen dicht überbauten und nicht dicht überbauten Gebieten.
Denkmal-, Ortsbildschutz, Archäologie
- Berücksichtigung historischer, ortsplanerischer und städtebaulicher Aspekte inkl. Baustrukturen (Identität und Charakter der Siedlung) resp. der charakteristischen Siedlungs- und Freiraumstruktur in Bezug auf das Gewässer sowie die ortstypischen Gewässerabstände.
- Berücksichtigung der historischen Siedlungsstruktur und deren Bezug zum Gewässer resp. Berücksichtigung, ob der Bezug zum Gewässer siedlungsbildend war
- Einbezug des Gewässers im Ist-Zustand im Kontext der historischen Referenzen und dem heutigen Potenzial (Berücksichtigung Grad der Eintiefung im Verhältnis zu Strassen, Bauten, Brücken, Böschungen etc.)
- Ermöglichung von baulichen Massnahmen, die dem Schutzzweck von Denkmal- und Ortsbildschutz oder Archäologie dienen.
- Berücksichtigung von archäologischen Fundstellen, so dass keine Beeinträchtigung in ihrer Eigenschaft daraus entsteht
Einfluss auf unter- und oberirdische Infrastrukturen
- Minimierung der Aussenwirkungen auf ober- und unterirdische Infrastrukturen sowie öffentliche und private Bauten und Anlagen
Grünraumfunktion, Einfluss auf öffentliche und private Nutzungen
- Versorgungsgrad der Bevölkerung mit öffentlichem Freiraum
- Verbesserung der Zugänglichkeit des Flussraums im Sinne der Schaffung von öffentlichem Freiraum für die Erholung, bei geringem Freiraumangebot im Perimeter
Ökologische Themen
Vgl. Schritt 3: Kriterien für den Raumbedarf aus Sicht Natur- und Landschaftsschutz
Gewässernutzung
Vgl. Schritt 3: Kriterien für den Raumbedarf aus Sicht Gewässernutzung
Weitere Interessen
Natur- und Heimatschutz
- Berücksichtigen der Anliegen und Forderungen des Natur- und Heimatschutzes (z. B. Schutz von Uferbereichen, Hecken und anderen Standorten, die eine ausgleichende Funktion im Naturhaushalt erfüllen oder besonders günstige Voraussetzungen für Lebensgemeinschaften aufweisen, Nichtgefährdung von schützenswerten Tier- und Pflanzenarten).
Raumplanung
- Berücksichtigen der Anliegen und Forderungen aus dem Raumplanungsgesetz (z. B. Abstimmung von raumwirksamen Tätigkeiten, Freihaltung von See- und Flussufern und Erleichterung des öffentlichen Zugangs und der Begehung, Erhaltung von naturnahen Landschaften und Erholungsräume).
Umweltschutz
- Berücksichtigen der Anliegen und Forderungen aus dem Umweltschutzgesetz (z. B. Vermeidung schädigender Emissionen).
Entscheidungsgrundlagen
Siedlungsthemen
- Raumordnungskonzept Kanton Zürich gemäss Richtplantext, Kapitel 1
- Kantonaler Richtplan
- Regionaler Richtplan
- falls vorhanden: Kommunaler Richtplan (Bezug bei der Gemeinde)
- Kantonale Nutzungspläne
- Bau- und Zonenordnung, Zonenplan (Bezug bei der Gemeinde)
- Vorgaben Verdichtungsentwicklung ARE
- Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS)
- Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS)
- Baurekursgerichtsentscheid III Nr. 0104/2012
- falls vorhanden: Leitbilder, Masterpläne, Gestaltungspläne etc.
- falls vorhanden: Städtebauliche Studien und Analysen
- falls vorhanden: Freiraumkonzepte
- Historische Gewässerkarte
- Wildkarte
- Siegfriedkarten von 1880 und 1930
- Karten von Hans Conrad Gyger
- Denkmalschutzobjekte (Bauten, Gärten), archäologische Zonen
- Inventar der schutzwürdigen Ortsbilder von überkommunaler Bedeututng (KOBI)
Natürliche Funktionen
- gleiche Grundlagen wie in Schritt 3, Natur- und Landschaftsschutz
Gewässernutzung
- gleiche Grundlagen wie in Schritt 3, Gewässernutzung
Weitere Hilfsmittel