Kernthemen
Folgende Themen stehen bei der Ausscheidung des Gewässerraums im Siedlungsgebiet im Zentrum:
Die Festlegung eines Verzichts auf den Gewässerraum ist im Einzelfall möglich, wenn mit einem rechtlich und finanziell gesicherten Hochwasserschutzprojekt nachgewiesen wird, dass das vorliegende Hochwasserschutzdefizit mit Sicherheit nicht am gegenwärtigen Standort der Dole behoben werden kann. Die Festlegung eines Verzichts auf den Gewässerraum ist ebenfalls möglich, wenn eine Dole durch anderweitige, planerische Festlegungen, die das Gewässer vor Überstellung schützen und somit der Raumsicherung für das Gewässer dienen, oder durch die baulichen Gegebenheiten mit Sicherheit vor einer Überstellung mit Bauten und Anlagen geschützt ist. Da der Gewässerraum in solchen Fällen aber zur Sicherung einer minimale Eingriffsbreite dient, rät das AWEL grundsätzlich von der Festlegung eines Verzichts auf den Gewässerraum ab. Die Festlegung eines Verzichts auf den Gewässerraum muss in jedem Fall begründet werden. Durch die Ausscheidung eines minimalen Gewässerraums von mindestens 11 Metern auch bei eingedolten Gewässern entstehen in der Regel keine neuen Einschränkungen und die bewährte Praxis mit dem 5 Meter breiten Gewässerabstand kann beibehalten werden. In begründeten Fällen kann der mindestens 11 Meter breite Gewässerraum unterschritten werden, insbesondere wenn kein Revitalisierungspotenzial vorhanden oder ein kleinerer Gewässerraum für Unterhaltszwecke (Schritt 2 Eingedolte Fliessgewässer resp. Schritt 2 WR-Kanäle im Nebenschluss (eingedolt)) ausreichend ist. Im Gewässerraum von eingedolten Fliessgewässern gelten die Bewirtschaftungseinschränkungen (Dünger- und Pflanzenschutzmittelverbot) nicht.
- Natürliche Funktionen: Transport von Wasser und Geschiebe, Ausbildung naturnaher Strukturvielfalt in den aquatischen, amphibischen und terrestrischen Lebensräumen, Entwicklung standorttypischer Lebensgemeinschaften, dynamische Entwicklung des Gewässers und die Vernetzung der Lebensräume. Dabei sind der Ist-Zustand und das Potenzial auf Grundlage der Revitalisierungsplanung zu beachten (Schritt 3 – Revitalisierung und Natur- und Landschaftsschutz).
- Gewässernutzung: Wasserkraftnutzung, Erholungsnutzung, Anlagen zur Sanierung der Wasserkraft (Schritt 3 – Gewässernutzung)
Diese Funktionen können eine Vergrösserung des Gewässerraums über die Mindestbreiten hinaus nötig machen. Dadurch allenfalls betroffene Interessen, beispielsweise der Siedlungsentwicklung, der Landwirtschaft (landwirtschaftliche Nutzflächen, Bewirtschaftungseinschränkungen, Meliorationsanlagen, Betriebsstandorte mit Nutztierhaltung) oder des Bodenschutzes (Fruchtfolgeflächen, natürlich gewachsene Böden), sind in der Interessenabwägung, insbesondere hinsichtlich der Frage des erforderlichen Masses der Vergrösserung und der Anordnung des Gewässerraums (asymmetrische Anordnung, Harmonisierung), zu berücksichtigen.
Im Siedlungsgebiet ist in «dicht überbauten Gebieten» im Interesse der Siedlungsentwicklung eine Unterschreitung der Mindestbreiten des Gewässerraums möglich, sofern die Anliegen des Gewässerschutzes im verbleibenden Gewässerraum erfüllt sind (Schritt 4). Dabei sind in einer Interessenabwägung weitere Kriterien zu beachten und entsprechend zu gewichten:
- Ortsplanerische und städtebauliche Aspekte (Zusammenpiel zwischen Gewässer-, Siedlungs- und Strassenraum, Entwicklungsplanungen, innere Verdichtung, Landschaftsbild etc.) mit dem Ziel, je nach Charakter und Bedeutung des Gewässers, bestehende (Lebensraum-) Qualitäten zu erhalten und neue schaffen zu können
- Einfluss auf bestehende oder geplante ober- und unterirdische Infrastrukturen, wie z. B. Verkehrsverbindungen und Leitungen
- Einfluss auf bestehende öffentliche und private Nutzungen
- Stärkung der Erholungs- und Grünraumfunktion – insbesondere im dicht überbauten Gebiet
- Aspekte des Ortsbild- und Denkmalschutzes und der Archäologie
Auch wenn der Gewässerraum im dicht überbauten Gebiet den baulichen Gegebenheiten angepasst und die Mindestbreiten unterschritten werden können, muss der verbleibende Gewässerraum den Hochwasserschutz gewährleisten und minimale, ökologische Funktionen wahrnehmen. Der Gewässerraum darf nur so weit beansprucht werden, wie dies zwingend nötig ist.
Nebst den in der GSchV genannten Fuss- und Wanderwegen, Flusskraftwerken und Brücken sind auch weitere im öffentlichen Interesse liegende Infrastruktur- und Erholungsanlagen im Gewässerraum bewilligungsfähig, sofern sie in einem übergeordneten Gesamtkonzept stehen, die Gewässerschutz-, Natur- und Heimatschutzinteressen (Gefährdung von Habitaten und Landschaften) nicht verletzen und aus topographischen Gründen auf einen Standort am Gewässer angewiesen sind (standortgebundene Teile von Anlagen, die der Wasserentnahme oder –einleitung dienen wie z. B. ein Abwasserkanal im Freispiegel, Drainagehauptleitungen und Pumpwerke) oder aus erholungsfunktionalen Gründen am Gewässer liegen müssen. In jedem Fall müssen das öffentliche Interesse nachgewiesen und alternative Standorte geprüft werden. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen alleine sind nicht hinreichend. Der Eingriff in den Gewässerraum muss so gering wie möglich gehalten werden. Ausserhalb der Bauzone kommt innerhalb des Gewässerraums Art. 41c Abs. 2 GSchV und somit die verfassungsrechtliche Bestandesgarantie zur Anwendung. Für die Erweiterung, den Ersatz oder die Neuanlage von nicht standortgebundenen und/oder nicht im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen ist bei Vorliegen neuer Erkenntnisse in dicht überbauten Gebieten auch nach der Festlegung des Gewässerraums eine Ausnahmebewilligung möglich, falls die Bauten und Anlagen zonenkonform sind und keine überwiegenden (Gewässerschutz-) Interessen (insbesondere Hochwasserschutz) dagegen sprechen.
Die Bewirtschaftung (minimal notwendiger Einsatz von Dünger und ggf. Pflanzenschutzmitteln) gewisser Anlagen, für die nachweislich ein grosses öffentliches Interesse besteht (z.B. Rasenflächen von öffentlichen Parkanlagen oder Fussballplätzen), fällt unter den Titel der Bestandesgarantie, soweit die Vorgaben der ChemRRV eingehalten werden.
In von der Gewässerraumfestlegung betroffenen Waldarealen bleibt die Waldbewirtschaftung, insbesondere die Holznutzung auch im Gewässerraum uneingeschränkt möglich. Vorbehalten bleiben die Vorgaben der forstlichen Planung (WEP) sowie Natur- und Landschaftsschutzauflagen in Schutzgebieten. Auf die Holzlagerung im Gewässerraum ist grundsätzlich zu verzichten (Abschwemmgefahr bei Hochwasser). Sofern eine solche Lagerung im öffentlichen Interesse und standortgebunden ist, kann sie in einer Einzelfallbeurteilung mittels Vereinbarung bewilligt werden. Bei ausparzellierten Lagerplätzen, die im Rahmen von Meliorationen (Waldzusammenlegungen) entstanden sind, sowie bei eingedolten Bächen ist keine Vereinbarung nötig. Im Rahmen des Gewässerunterhalts sind die statisch festgesetzten Waldgrenzen zu respektieren (Mähen auf Waldareal ist nicht zulässig). Der durch den Gewässerraum betroffene Waldboden bleibt weiterhin der Waldgesetzgebung unterstellt.
Gemäss Art. 36a Abs. 3 GSchG gilt der Gewässerraum nicht als Fruchtfolgefläche (FFF). Überschneidet der Gewässerraum Flächen, die in den kantonalen Inventaren bereits als Fruchtfolgeflächen (FFF) verzeichnet sind, müssen die Kantone nach Art. 41cbis GSchV diejenigen Böden, die sich im Gewässerraum befinden und die (gemäss Sachplan FFF und RPV) weiterhin FFF-Qualität haben, separat ausweisen. Diese Böden können – als Potenzial – weiterhin zum Kontingent gezählt werden, erhalten aber einen besonderen Status. Im Krisenfall sind gemäss dem jeweiligen Notfallbeschluss die Böden im Gewässerrau mit FFF-Qualität als Letzte und nur im äussersten Notfall zur (vorübergehenden) intensiven Bewirtschaftung beizuziehen; dies ist sinnvoll, da der Gewässerraum insbesondere auch dem Schutz der Gewässer vor Eintrag von Nähr- und Schadstoffen der Landwirtschaft dient.
Für einen effektiven Verlust an FFF ist nach den Vorgaben der Sachplanung des Bundes nach Art. 13 RPG Ersatz zu leisten. Ein solcher Verlust liegt jedoch erst vor, wenn FFF im oder ausserhalb des Gewässerraums durch ein Wasserbauprojekt effektiv beansprucht werden. Falls der Gewässerraum Kulturland enthält, so ist bei der Planung eines Hochwasserschutz-, Revitalisierungs- oder Natur- und Landschaftsprojekts am Gewässer zu gegebener Zeit in einer stufengerechten Interessenabwägung zu prüfen, wie die Beanspruchung von Kulturland und insbesondere von FFF durch eine Anpassung des Projekts minimiert werden kann (Art. 3 Abs. 2 Bst. a RPG).
– Meliorationswege
Gemäss Art. 41c Abs. 1 Bst. b GSchV sind land- und forstwirtschaftliche Spur- und Kieswege (u.a. Meliorationswege) mit Abstand von mindestens 3 m von der Uferlinie des Gewässers zulässig, wenn topografisch beschränkte Platzverhältnisse vorliegen. Zusätzlich kann die Behörde gemäss Art. 41c Abs. 4bis GSchV bei Strassen und Wegen mit einer Tragschicht oder bei Eisenbahnlinien entlang von Gewässern, wenn der Gewässerraum landseitig nur wenige Meter über die Verkehrsanlage hinausreicht, für den landseitigen Teil des Gewässerraums Ausnahmen von den Bewirtschaftungseinschränkungen nach Art. 41c Abs. 3 und 4 GSchV bewilligen, wenn keine Dünger oder Pflanzenschutzmittel ins Gewässer gelangen können. Diese Spezialregelung kann somit auch beim landseitigen Teil eines Gewässerraums, der über einen Meliorationsweg hinausragt, zur Anwendung kommen. Meliorationswege entlang von Gewässern werden häufig auch vom Gewässerunterhalt benutzt. Dann sind sie im Gewässerraum zulässig, da sie damit u.a. dem Hochwasserschutz dienen. Aus diesen Gründen sind Meliorationswege bei der Ausscheidung des Gewässerraums nicht speziell zu berücksichtigen.
Zusätzlich zum Gewässerraum sollen die Gemeinden in Zukunft mit Gewässerabstandslinien einen Zwischenraum bezeichnen können, der einen Übergangsbereich zwischen dem Gewässerraum und angrenzenden Hoch- und Tiefbauten sichern soll. Dazu ist im Entwurf des neuen Wassergesetzes vorgesehen, § 67 PBG derart anzupassen, dass die Gemeinden die zulässigen Nutzungen innerhalb der Gewässerabstandslinien neu in der BZO definieren können. Damit kann verhindert werden, dass Hoch- und Tiefbauten direkt bis an den Gewässerraum errichtet und dadurch gewässerseitig keine Kleinbauten und Anlagen mehr erstellt werden können oder der Zugang für den Unterhalt erschwert wird. Bereits vorhandene Gewässerabstandslinien, die sich ortsplanerisch bewährt haben, können beibehalten werden.
Übergeordnete Prinzipien
Folgende übergeordnete Prinzipien kommen bei der Ausscheidung des Gewässerraums im Siedlungsgebiet zur Anwendung:
- Die Festlegung des Gewässerraums erfolgt im gesamten Siedlungsgebiet sowohl bei den Fliessgewässern als auch bei den stehenden Gewässern.
- Das «Siedlungsgebiet» umfasst die folgenden Zonen gemäss PBG: Bauzonen, Freihaltezonen, Erholungszonen, Reservezonen.
- Bei landwirtschaftlich genutzten Freihaltezonen, welche sich weitab vom übrigen Siedlungsgebiet befinden, wird vorderhand noch keine Ausscheidung und Festlegung des Gewässerraums vorgenommen. Die Festlegung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt mit der Festlegung des Gewässerraums im Nicht-Siedlungsgebiet. Solange der Gewässerraum nicht rechtskräftig festgelegt wurde, kommen die Übergangsbestimmungen der GSchV zur Anwendung.
- Zur Bestimmung des nötigen Gewässerraums wird das Gewässer in sinnvolle Abschnitte unterteilt (Schritt 1).
- Bildet ein Gewässer die Grenze zwischen dem Siedlungs- und dem Landwirtschaftsgebiet bzw. zwischen dem Siedlungsgebiet und dem Wald, wird der Gewässerraum beidseitig ausgeschieden, d.h. auch im Landwirtschaftsgebiet und im Wald.
- Bei kurzen sogenannten Verbindungsabschnitten (max. 300 m Länge) zwischen Siedlungsgebieten wird der Gewässerraum in der Regel durchgezogen, auch wenn dadurch beidseitig Nicht-Siedlungsgebiet (Landwirtschaftszone oder Wald) betroffen wird.
- Verläuft das Gewässer durch ein Waldstück, welches von Siedlungsgebiet umgeben ist und tangieren die geltenden Übergangsbestimmungen oder der potenzielle Gewässerraum das Siedlungsgebiet, wird der Gewässerraum auch im Waldstück ausgeschieden. Durch den Gewässerraum beanspruchte Waldboden bleibt weiterhin der Waldgesetzgebung unterstellt.
- Bildet ein Gewässer die Grenze zwischen zwei Gemeinden bzw. liegt es an der Grenze, wo das Gewässer von der einen Gemeinde in die nächst unterliegende verläuft, wird die Ausscheidung des Gewässerraums aufeinander abgestimmt und die Festlegung zwischen den Gemeinden koordiniert.
- Bei einer Anpassung des Gewässerraums orientiert sich dieser an zusammenhängenden Siedlungseinheiten/-strukturen. Gebäude sind bei der Gewässerraumfestlegung grundsätzlich nicht zu umfahren, das Anschneiden durch den Gewässerraum ist, auch bei bestehenden Schutzobjekten, in Kauf zu nehmen. Sind die Voraussetzungen für eine Reduktion gegeben, ist jedoch zu prüfen, wie weit der Gewässerraum reduziert werden kann, um das Anschneiden von Schutzobjekten möglichst gering zu halten bzw. zu vermeiden. Der Gewässerraum ist vorzugsweise gleichmässig breit als kontinuierlicher Korridor auszuscheiden, d.h. es sind keine abrupten Richtungswechsel vorzunehmen. Die Anpassung an harmonisch verlaufende Fassadenlinien oder eine asymmetrische Anordnung ist mit einer entsprechenden Begründung möglich.
- Die Ausscheidung des minimalen Gewässerraums gemäss GSchV (Schritt 2) und die Prüfung zur Erhöhung des Gewässerraums (Schritt 3) sollen mit verhältnismässigem Aufwand möglich sein.
- Eine Anpassung des Gewässerraums im dicht überbauten Gebiet (Reduktion) macht vertiefte Abklärungen nötig. Eine umfassende Interessenabwägung muss sichergestellt werden (Schritt 4) und Schritt 5). Im Rahmen der Gewässerraumfestlegung im vereinfachten Verfahren wird ein Abschnitt nur dann abschliessend als «dicht überbaut» oder «nicht dicht überbaut» bezeichnet, wenn für den betreffenden Abschnitt eine Reduktion erfolgt (und damit der detaillierte Nachweis anhand der Indizien für das Vorliegen von dicht überbautem Gebiet zwingend erbracht werden und positiv ausgefallen sein musste) oder eine Reduktion im Detail geprüft wurde, der detaillierte Nachweis jedoch zeigte, dass die Indizien für das Vorliegen von dicht überbautem Gebiet nicht ausreichend erfüllt sind. An Abschnitten, an denen nicht vordergründig die Absicht besteht, den minimalen Gewässerraum zu reduzieren, soll anhand einer groben Einschätzung lediglich eine Tendenz für «dicht überbaut» oder «nicht dicht überbaut» angegeben werden. Aus der Bezeichnung einer Tendenz zu dicht überbaut lässt sich keinen Anspruch auf eine spätere Reduktion des Gewässerraums oder auf eine Ausnahmebewilligung im Fall eines Bauvorhabens ableiten. Umgekehrt lässt sich aus der Bezeichnung einer Tendenz zu nicht dicht überbaut nicht ableiten, dass eine Reduktion des Gewässerraums oder die Erteilung einer Ausnahmebewilligung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Die Tendenz lässt die Möglichkeit offen, die abschliessende Beurteilung im Bedarfsfall zu gegebener Zeit, stufengerecht für das jeweilige Vorhaben vorzunehmen und kann für diesen Fall als Argument beigezogen werden.
- Die flächendeckende Festlegung des Gewässerraums im Siedlungsgebiet im vereinfachten Verfahren oder im nutzungsplanerischen Verfahren (im Rahmen einer Revision der Nutzungsplanung) ist eine übergeordnete planerische Festlegung. Sie dient der langfristigen Sicherung der Gewässerinteressen auf Grundlage der gegebenen Hochwassersituation und bekannter Planungen und Bauvorhaben zum Zeitpunkt der Festlegung. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt, nach einer Gewässerraumfestlegung, neue Erkenntnisse vorliegen (z.B. Hochwasserschutzprojekt, Gestaltungsplan mit wasserbaulichem Vorprojekt etc.), kann der Gewässerraum revidiert und ggf. angepasst werden.